Assistenz- und Therapiehunde – besondere Hunde als Begleitung für besondere Menschen

Bevor wir zu dem spannenden und emotionalen Interview mit Pia und ihrem Migränewarnhund Air Mail (@flatcoated_perfection) kommen, möchte ich euch kurz einige allgemeine Informationen zu Assistenz- und Therapiehunden geben und vor allem den Unterschied erklären.

Die meisten Menschen kennen vor allem Blindenführhunde. Hierbei übernimmt der Hund das Leiten seines Menschen, indem er ihn durch den Alltag begleitet. Sie zeigen Treppenstufen an, wo Briefkästen, Lichtschalter, Hindernisse sind und erleichtern sehbehinderten Menschen so das alltägliche Leben enorm. Wusstest du eigentlich, dass ein Assistenzhund eine zweijährige Ausbildung absolviert? 

Assistenzhunde werden immer nur für einen Menschen ausgebildet und sie erlernen mindestens drei Aufgaben, um die Beeinträchtigung ihres Menschens unmittelbar zu erleichtern. Darüber hinaus müssen sie einen besonders hohen Standard einhalten – sie dürfen in der Öffentlichkeit während der Arbeit nicht schnüffeln, sich ablenken lassen und müssen andere Menschen und Hunde ignorieren. 

Neben dem eben erwähnten Blindenführhund gibt es noch viele weitere Assistenzhunde – ihre Bezeichnung leitet sich von der jeweiligen Beeinträchtigung ihrer Menschen ab. 

Ein paar Beispiele: 

  • Diabetikerwarnhunde
  • Signalhunde
  • Assistenzhunde für Menschen mit psychischen und psychiatrischen Erkrankungen
  • Epilepsieanzeigehunde: diese Hunde holen Hilfe bei einem Anfall, klingeln an einer Glocke oder drücken einen Alarmknopf, sie holen Medikamente und bleiben nach dem Anfall bei dem Epileptiker
  • Epilepsiewarnhunde: sie warnen vor einem Anfall, so dass der Epileptiker die Möglichkeit hat, sich zu setzen, um Stürze zu vermeiden
  • Autismushunde
  • Asthmawarnhunde 
  • Allergieanzeigehunde

Wusstest du denn auch, dass Therapiehunde etwas ganz anderes sind? Sie helfen z.B. Ergotherapeuten bei ihrer Arbeit oder aber in Kindergärten, Altenheimen usw. als Besuchshunde. Sie unterstützen also nicht nur einen Menschen, sondern verschiedene. In den USA werden sie „emotional support dogs“ (Hunde für emotionale Unterstützung) genannt. Meiner Meinung nach gilt das ja für alle Hunde… denn es ist einfach so, dass das Streicheln von einem warmen Hundekörper so viele Synapsen anspricht und so viele Gefühle in uns auslösen kann. Es ist eine absolute Förderung der Körper- und Sinneswahrnehmung, wenn man mit einem Tier in körperlichen Kontakt tritt. Körperliche Stresseffekte werden direkt beeinflusst und minimiert. 

Therapiehunde werden unterteilt in aktive und reaktive Therapiehunde. Der Aktive bringt Spielideen mit und fordert den Menschen auf und motiviert ihn. Der Reaktive spiegelt die Befindlichkeiten des Menschen und reagiert auf dessen Bedürfnisse. 

Es ist häufig so, dass bei einer Therapiesitzung, in der Hunde anwesend sind, Menschen oft ein anderes Verhaltensmuster aufzeigen. Damit kann es möglich sein, einen Zugang zu ihnen zu finden und ihnen besser zu helfen. 

Für unseren heutigen Blogeintrag habe ich mit einer starken und tollen Frau über sie und ihren Hund Air Mail gesprochen. Denn Pia hat Migräne und ihr Flat Coated Retriever hilft ihr, den Alltag mit Migräne besser zu meistern. 

Antonia: Liebe Pia, erklär doch bitte einmal: Ist Air Mail ein Assistenzhund oder ein Therapiehund?


Pia: Air Mail läuft unter der Migräne als Assistenzhund, arbeitet mit mir zusammen aber auch ehrenamtlich in einer Demenz-WG. Darum soll es hier aber nicht gehen. Zum Verständnis einmal kurz: Assistenzhunde arbeiten eigentlich 24/7 für einen bestimmten Menschen und haben spezielle Aufgaben. Er ist für eine ganz genaue Tätigkeit ausgebildet und dafür da, dem Menschen seinen Alltag erträglicher/einfacher zu machen. Ein Therapiehund hingegen arbeitet mit seinem Menschen für oft wechselnde Klient*innen und seine Aufgabe dabei ist zu therapieren! Hund und Halter*in arbeiten hier als Team zusammen, der Hund übernimmt hier oft die Rolle des Eisbrechers. 

A: Gibt es eine Bezeichnung für ihn – also sowas wie „Migräneanzeigehund“?


P: Ja, es gibt eine Bezeichnung. Auf seiner Weste steht zwar Migräneanzeigehund, das passt aber eigentlich nicht. Vielmehr sprechen wir hier von dem Migränewarnhund, denn er warnt mich vor aufkommenden Anfällen. Den Anfall selbst merke ich selbst ziemlich deutlich, dann ist es für Medikamente aber meistens zu spät.

A: Wie unterstützt er dich in deinem Alltag mit Migräne?

P: Vor allem hat er mir jede Menge Lebensqualität geschenkt. Vor Air Mail hatte ich im Schnitt 5 Anfälle die Woche und habe gut den halben Monat im Krankenhaus verbracht. Hier spricht man durch die Häufigkeit auch von einer chronischen Migräne. Durch Air Mail bemerke ich Anfälle so früh, dass ich Medikamente einnehmen kann und der Anfall sich so deutlich mindert und aushaltbar wird. In Anfällen selbst (wenn es zu spät bemerkt wird, weil er zum Beispiel mal nicht bei mir ist) hilft er mir aber deutlich intensiver und hat mir hier mehrfach mein Leben gerettet.  

Er holt mir Medikamente und Wasser, kann Licht an- /ausschalten, mir mit den Begleiterscheinungen eines Anfalls helfen (Hände lecken, wenn sie verkrampfen und legt sich ohne zu fragen auf mich drauf, damit ich mich an seinen Atemrhythmus anpassen kann -> Atemaussetzer). Das läuft für ihn sicher nur beiläufig, aber er gibt mir vor allem unendlich viel Sicherheit und die Angst vor Anfällen. Dadurch kann ich abschalten und habe weniger Anfälle, bei denen ich krankenhauspflichtig werde!

A: Wurde er mit dir zusammen ausgebildet oder hast du ihn ausgebildet bekommen?


P: Ich habe mir Air Mail als Sporthund gekauft. Ich wollte mit genau diesem Hund im Dummysport so richtig durchstarten! Wir hatten einen sehr holprigen Start, er war so komplett anders als ich ihn mir vorgestellt habe. Trotzdem haben wir uns irgendwie zusammengerauft und uns gefunden. Mit einem halben Jahr fing dieser Hund dann aber immer mal wieder an, mir unsanft in die Hände zu beißen und hektisch zu werden. Das war super komisch, denn mit einem halben Jahr sollten Hunde ja eigentlich durch sein damit. Zuerst habe ich es sehr stark unterbunden, dann aber mit einer befreundeten Trainerin meinen gesamten Tag ganz genau aufgeschrieben, was wann wie passiert. Hier kam dann nach drei Wochen auf, dass es immer 2 Stunden vor einem Anfall auftritt. Das haben wir dann also nicht mehr versucht zu unterdrücken, sondern bestärkt und ich machte mich auf die Suche nach einer Organisation, die uns hier hilft, um das zu fördern und auszubauen. In Deutschland hat man mir vor fünf Jahren aber nicht wirklich zugehört und das eher belächelt. Meine Familie wohnt aber zu großen Teilen in Amerika und hier gibt es diese Migränewarnhunde schon seit einigen Jahren. Ich habe ihn also selbst mithilfe einer amerikanischen Trainerin ausgebildet! Heute bieten auch Organisationen aus Deutschland diese Art der Ausbildung an. Dafür bin ich sehr dankbar!

A: Wie zeigt er dir einen bevorstehenden Migräneanfall an? 

P: Früher wie gesagt durch das Beißen in die Hände, heute sind die Anzeigen je nach Intensität des Anfalls bzw. wie weit dieser noch in der Ferne liegt unterschiedlich. Liegt der Anfall zeitlich noch weit hinten fängt er an, mich anzustarren, reagiere ich nicht darauf, stupst er mich an und wird deutlicher. Komme ich zu spät, bedrängt er mich und bringt mich dazu, mich hinzulegen. 

A: Wie hast du davon erfahren, dass es möglich ist, dass ein Hund dich bei Migräne unterstützen kann?

P: Ich habe da überhaupt nicht mit gerechnet, wenn ich ehrlich bin. Wir haben uns damit auseinandergesetzt, als herausgekommen ist, wann er dieses Verhalten zeigt. Von dem Zeitpunkt an habe ich mich dann mehr damit beschäftigt und den wohl größten Einfluss hatte die Trainerin aus Amerika, die damals die Einzige gewesen ist, die mich nicht belächelt hat. Vor fünf Jahren hat mich hier keine Company unterstützen wollen/können. 

A: Gibt es Zuschüsse von der Krankenkasse?

P: Soweit ich weiß, nicht. Da habe ich mich aber nicht ausreichend mit beschäftigt um das abschließend sagen zu können. Für mich ist das nie ein Thema gewesen, weil ich einfach einen tollen Hund hatte und das finanziell gut funktioniert hat. Außerdem wollte ich einfach den unkompliziertesten Weg haben.

A: Darf Air Mail theoretisch überall mit hin, da er dich unterstützt? Also in Bereiche, wo Hunde eigentlich nicht hin dürfen?

P: Jein! Der Assistenzhund ist ja kein geschützter Begriff. Demnach gilt das Hausrecht. Ich habe Papiere die besagen, dass ich auf ihn angewiesen bin und wie er ausgebildet ist, der Wesenstest der besagt, dass er eben nicht gefährlich ist und die Bescheinigung über die monatliche Wurmkur vom Tierarzt (ist gerade für mich wichtig, weil Air Mail ja auch mit in Einkaufsläden kommen darf). Möchte ein Ladeninhaber nun aber nicht, dass ich den Hund mitführe, muss ich weichen. Wenn es mir an einem Tag schlecht geht, nehme ich ihn gerne mit, ansonsten verzichte ich gerade beim Einkaufen aber auch gerne mal auf seine Hilfe. So hat er auch einmal Ruhe. Fahre ich aber mit den Öffis, fühle ich mich einfach sicherer mit ihm und nehme ihn mit. In vielen Fällen sind die Menschen aber sehr verständnisvoll und interessiert. 

A: Würdest du sagen, dass Air Mail diese Art der Begleitung als anstrengend empfindet? Kann er richtig „abschalten“ oder passt er immer auf dich auf? Gibt es eine Art Befehl / Zeichen für ihn? Ich habe mal gelesen, dass bei Blindenführhunden das Führgeschirr ausgezogen wird, als Zeichen, dass sie frei haben und toben / schnüffeln dürfen etc. 

P: Der Job ist unfassbar anstrengend. Das darf man nicht unterschätzen und da bin ich ehrlich: Das habe ich zu Beginn. Ich bin darauf angewiesen, dass er mich auch nachts warnt, wenn ich schlafe, mich auf Spaziergängen im Hinterkopf behält und auch so generell an mich denkt. Man darf nicht vergessen, dass dieser Hund von sich aus entschieden hat, sein Leben zurückzustellen, um meins freier und unabhängiger zu gestalten. Man hat also einen Hund, der für mich bereit ist, eigene Bedürfnisse zurückzusetzen. Er würde von sich aus nie aufhören. Diese Freizeit kann ich ihm, wenn ich dabei bin, also nicht geben. Er arbeitet ja quasi immer, wenn ich da bin und hört nicht auf, wenn ich ihm die Weste ausziehe. (Er hat auch eine Weste, die dient jedoch eher dafür Menschen zu zeigen, dass er kein gewöhnlicher Hund ist und auch weil ich aufklären möchte, dass es eben solche Spezialisten gibt.) 

Air Mail hat mit den Jahren sehr coole Hobbys (Frisbee und Jagd) gefunden, die ihm erlaubten frei zu denken und ich entscheide mich auch oft, ihn daheim zu lassen. Auf der Kamera sehe ich dann, dass er wirklich mal richtig durchschläft und atmen kann. Die Zeit braucht er auch. Durch den Bandscheibenvorfall suchen wir aktuell neue Hobbys, weil Frisbee oder die Jagd da einfach zu gefährlich sind. Aber wir werden da etwas finden, da bin ich sehr zuversichtlich.

Liebe Pia, ich danke dir so sehr für deine offenen und berührenden Worte! Es ist wirklich unglaublich, was ihr beide gemeinsam durchlebt und wie Air Mail dir helfen kann! Was ich wirklich besonders toll finde, ist, dass du sein Verhalten damals verstanden hast. Ich glaube, dass wir Menschen so oft die Sprache der Tiere nicht verstehen und dann unwirsch darüber hinweggehen. Du hast ihm zugehört, da er dich beobachtet hat und dir helfen wollte. Darüber werde ich noch lange nachdenken!

Mir bleiben nicht mehr viele Worte. Hunde sind unglaublich. Ich hoffe, dass viele Menschen erfahren, dass es Hunde gibt, die ihnen helfen können. Denn wie man an Pias Geschichte merken konnte, erfordert es noch immer viel Eigeninitative. Also: Erzählt es weiter! Und hört euren Hunden zu.

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